Ich war verloren.
Ich lief durch die Straßen und ich sah in Augen.
Und hinter jedem Auge lag ein schwarzer Ozean.
Und ich sah die Menschen.
Ich sah in jedes Menschen Auge die Schwärze,
in jeder Iris
einen schwarzen Punkt
Und das Dunkle formt sich zu Tropfen, die sich sammeln und
anwachsen,
bis sie sich lösen
und herabfallen
in die Tiefe
ich weiss nicht wann sie auftreffen auf einen Grund
In einem Gebirge der Schwärze fallen sie herab
aus den Steinwänden
die Steilwände hinunter
fallen sie
Tropfen für Tropfen
hinunter
in die Schwärze
Ich sitze in einem Gebirge der Schwere
Aus den Felswänden regnen die Steine heraus
und jeder Stein ist ein Träne
Ich war der Teil einer Gesellschaft
oder vielleicht war es auch so:
ich war eine Gesellschaft
Ich war verloren.
Ich fand mich suchend.
Es kam mir abhanden
die Struktur
dessen,
der ich war.
Ich löste mich auf.
Meine Konturen schwanden.
Und anstelle der Kontur besetzte die Materie der Angst die
freigewordenen Räume.
Ich war verloren.
Ich war unterwegs und überall sah ich das Schwarze lauern in
einem hellen Tag. In einer morgendlichen Wohnung. In einem Paar
zugezogener Gardinen. Im Blau der ersten Dämmerung. In der
Wärme einer Strasse am Samstag. Eine Sonne steht über ihr im
Nachmittag. Und es verschob sich, wer ich war. Ich kam mir
abhanden. Irgendwer war ich, den ich selbst nicht kannte. Es fühlte
sich fremd an, in meiner Haut herumzulaufen, durch meinen Alltag
zu gehn, meine Ziele zu verfolgen, meine Träume zu träumen,
meinem Bezug zu haben, meine Eingerichtetheit weiterzuführen in
einem System, das sich mein Leben nannte.
Wenn du leben willst, erfinde dich neu, dachte ich. Vielleicht als der,
der du schon bist.
Die Erfindung könnte sein, mich selbst zu treffen. In der eigenen Welt.
Im eigenen Zustand.
Als vielleicht der, der ich bin.
Denn - das muss ich schon sagen - ich war all die Jahre nicht zu Hause gewesen. In meiner Welt. Sondern in einer fremden.
Ich taste umher. Sternförmig. Ich strecke die Hände aus. Und hoffe auf Kontakt. Und wenn ich Berührung finde, spüre ich Hände und Gegenstände. Doch meine Hände sind es nicht. Ich spüre kein Zusammenkommen. Alles, was ich berühre, verbindet sich nicht mit mir.
Ich bin nicht bei mir. Irgendein Fremder zieht meine Bahnen, spricht meine Worte, fühlt mein Gefühl, erreicht meine Ziele, küsst mit meinen Lippen, schlägt mit meinen Fäusten, sieht mit meinen Augen.
Ich steh im Ziel.
Und niemand ist da.
Ich bin nicht bei mir.
Das kann ich klar sehen.
Es ist, wie wenn man in ein Wolkenloch starrt,
und eine Sicht hat
in eine darüberliegende Schicht.
Ein Wolkenloch, an dessen Rändern die Wolkenfetzten
entlangflattern, aber das Loch schließt sich nicht, es bleibt wundersam geöffnet, und die Sicht bleibt.
Man blickt klar hindurch
und erhält Erkenntnis.
Es ist, wie wenn man sich auf einem Kontinentalflug befindet. Alle
anderen schlafen mit ihren Schlafmasken auf den Gesichtern, und
du blickst von oben auf das Wolkenmeer und siehst das Loch der
Erkenntnis. Es ist dein Loch, denn nur du bist derjenige, der hier
aus den Bullaugen blickt, deine Wange klebt an der Scheibe, sie ist
kühl.
Ein Sicherheitsglas trennt dich vom ewigen Sog des Alls.
Das Glas ist nur wenige Zentimeter dick und man kann
hindurchsehen.
Da du.
Da das Glas.
Da das All.
Du hängst im Sitz und überfliegst die Zonen der Zeit. Oder der Erkenntnis.
Du könntest auch in einer Sonde zum Mars sitzen.
Doch da sitzt du nicht. Du sitzt hier. Du sitzest zur Rechten deiner
linken Hand, in der sich eine Packung Ibuprofen-Tabletten befinden.
Umklammert und schweißnass.
Und du wirst landen in einer Welt, die dein Köper ist. Man hat deine
Körperwelt kartographiert. Sie ist genau erfasst und beschrieben.
Man weiß hier, wo man ist. Es gibt keine blinden Flecken. Du bist Teil einer Gesellschaft. Oder vielleicht bist du eine Gesellschaft.
Und es ist so: Dein Körper ist eine Landkarte der Schmerzen. Er ist gezeichnet. Hier kennst du dich aus. Im Gebiet. Du findest auch im
Dunkeln deinen Weg. Du kommst ans Ziel. Du findest auch im Dunkeln die Stelle, die wehtut.